Michael Kalthoff-Mahnke - virgin-jazz-face

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Der Saiten-Magier

Nach 2010 und 2014 präsentiert sich Pat Metheny in diesem Herbst mit neu formierter Band zum dritten Mal im Dortmunder Konzerthaus.
 
Diese Momente gehören zu den schönsten, ja: erhabensten in jedem seiner Konzerte: Wenn Pat Metheny allein mit einer akustischen Gitarre auf der Bühne sitz, wenn er verschmilzt mit seinem Instrument, dann strömt eine Magie in den Saal. Die Welt entrückt in einen fast zauberhaften Klangkosmos, und man wünscht sich, dass es nie oder zumindest nicht so schnell enden würde.

Genau so startet der amerikanische Ausnahmemusiker Ende Oktober seine Vorstellung im restlos ausverkauften Dortmunder Konzerthaus und sog damit das Publikum tief in seinen Bann. Auf einem dunklen Klavierhocker kauernd, aus dem Dunkel des Saals ein Spot auf ihn gerichtet, im Arm seine speziell für ihn gefertigte 42-Seiten-Akustikgitarre, der er Töne mit einer Klangvielfalt von Harfe bis Sitar entlockt und mit der er bereits in den 1970er- und 80er-Jahren ein Stück Weltmusik antizipiert. Grau ist sein Wuschelkopf geworden, ähnlich wie die Haarfarbe vieler seiner Fans, die mit ihm älter geworden sind. Aber der Sound fasziniert wie in seinen jüngsten Tagen.
 
So endet das Konzert nach mehr als zwei intensiven Stunden auch: Pat Metheny im Scheinwerferlicht, versunken vom Korpus bis zum Steg mit seiner sechssaitigen Bariton-Gitarre, die seinen Stücken so einen unvergleichlichen Klang verleiht. Mit dabei auch die akustische Version des Filmtitels „This is not America“, („Der Falke und der Schneemann“, 1985), mit dem er, gesungen von David Bowie, zeitweise sogar auf Platz 1 der amerikanischen Charts belegt hat.
 
Dazwischen bietet der Mann im ewig blau-geringelten Shirt vieles vom dem auf, was er seit der Veröffentlichung seines ersten Albums Bright Size Life im Jahr 1975 bis heute geschaffen hat: vom jazzrockigen, harmonischen San Lorenzo von seinem „White Album“ (Pat Metheny Group, 1977/78) bis zur Freejazz-Welt vom Album „Song X“, eingespielt 1985 mit Ornette Coleman und dessen Sohn Denardo, mit Charly Haden und Jack DeJohnette.
 
Für die aktuelle Tour hat Metheny eine neue Band zusammengestellt, die dem Meister eine klangvolle und rhythmische Basis für seine ausgefeilten Gitarrensoli schafft, zugleich aber auch solistisch mehr als überzeugt: Der britische Pianist Gwilym Simcock, die aus Malaysia stammende Bassistin Linda Oh und der Mexikanische Schlagzeuger Antonio Sanchez sind exzellente Musiker, die Methenys Forderung nach herausragendem Musikverständnis und großer Vorstellungskraft mit virtuoser Kraft umsetzen. Dies zeigt sich nicht nur im Zusammenspiel der vier, sondern ganz besonders in den drei intensiv vorgetragenen Duos gegen Ende des Konzerts, in denen Metheny mit jeweils einem der drei musikalischen Mitstreiter grandios improvisiert.

Schade nur, dass die vielgerühmte Akustik des Dortmunder Konzerthauses die Klangmacht mancher Stück des Quartetts nicht rüberbringt. Da wird es mitunter undifferenziert, Pianopassagen gehen in einem zu lauten Schlagzeug unter. Je leiser, je besser: Bei Methenys Solostücken ist jeder Pick zu hören.
 
„An evening with Pat Metheny“ ist der Abend überschrieben. Nach 135 Minuten (ohne Pause) geht das Licht im Saal an. Schade, dass diesem großartigen Abend nicht noch eine ebenso grandiose „Night with Pat Metheny“ folgt. Aber vielleicht klappt das ja in drei oder vier Jahren, wenn er hoffentlich wieder einmal in Dortmund auf der Bühne stehen wird.  Seine Fans würden es ihm danken.

Text & Foto Michael Kalthoff-Mahnke

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Zum Geburtstag gab's Hausmannskost - aber vom feinsten auf Consol von Gejazzt in Gelsenkirchen

"GEjazzt" feierte ihren 15 Geburtstag und servierte den Gästen  drei schmackhafte Gänge, die Augen, Ohren und Herzen aufs Beste bedienten
 
Bei der Jubelfeier zu Ehren des Geburtstagskindes im Consol-Theater in Gelsenkirchen-Bismarck hatten die Inititatoren auf "große Namen" von außen verzichtet, sondern den Abend mit Musikern der Jazz-Initiative gekonnt und virtuous gestaltet. Das große Plus: Die Auswahl zeigte einmal mehr die musikalische Vielfalt und die individuelle Klasse der Bands und deren Musiker und machte zudem deutlich, welch großartigen Talente durch "GEjazzt" immer wieder aufs Neue be- und gefördert werden.

Ein Team um die Jazz-Club-Macher Christian Hammer, Daniel Sanleandro und Martin Furmann hatte ein abwechslungreiches Programm auf die Beine gestellt, Hausmannskost sozusagen, und präsenierten die "Eigengewächse" in drei Gängen.
 
1. Gang: orientalisch mit einer Prise Europa
 
Das Quartett „Kaleidoskop“ schlug einen weiten musikalischen Bogen. Ausgehend vom modernen Jazz boten Christian Hammer (Gitarre), Dimitrij Markitantow (Saxofon),  Alex Morsey (Kontrabass) und Fetih Ak (Darbukadie ) eigene Kompositionen sowie Bearbeitungen von Klassikern aus Ost- und Südosteuropa bis hin zum Nahen Osten. Dabei zeigte Fethi Ak mehr als einmal, das er zu den besten Darbukaspielern Deutschlands zählt und zu recht  in der türkischen Musikszene ein sehr gefragter Live- und Studiomusiker ist. Der in Kiew geborene Saxophonist Dimitrij Markitantow überzeugte vor allem durch melodische Elemente des Balkans gepaart mit modernen Jazzsaxophonpassagen und einem ausdrucksstarken Ton auf Alt- und Sopransaxophon.
 
2. Gang: smooth and funky
 
Die DSF-Band mit Daniel Sanleandro Fernandez (Drums), Minerva Diaz Pérez (Vocal), Martin Schulte (Gitarre), Roman Babik (Keyboards) und Nico Brandenburg (Bass) begeisterte das Publikum mit Interpretationen unter anderem von Sting, Elton John und den Doors sowie Eigenkompositionen über Ethnojazzklängen á la Zawinul bis hin zu einnehmenden Balladen. Schon beim Eingangsstück "Light my fire" hielt es die Gäste nicht auf ihren Plätzen. Frontfrau Minerva Diaz Pérez überzeugte nicht nur durch ihre variantenreiche Stimmgewalt, sondern ebenso durch eine eindruckvolle Körpersprache. Die fünf mit unterschiedlichen musikalischen Backgrounds versehenen Musiker boten ein energiegeladenes, mitreißendes Programm mit viel Improvisationsspielraum für Jazz- und Musikliebhaber unterschiedlichster Art.
 
3. Gang:  zum Chillen und Tanzen
 
Mit geschmeidig treibendem Schlagzeug von Hendrik Lensing, ins Ohr gehenden Melodien von Trompeter Christian Kappe sowie tiefen Synthie-Bässen und funkig tänzelnden Sounds von Keyboarder Martin Furmann sollte das Trio Bassmati für eine chillige Partylaune sorgen - was allerdings nicht so ganz in die Kelleratmosphäre der Jazz-Lounge "auf Consol" passen wollte, sondern eher an eine sommerliche und coole Abendstimmung am Strand erinnerte. Dennoch ließen sich die drei Musiker nicht von der Tanzunlust der Gäste anstecken: Sie spielten mit sichtlich großem Vergnügen und Können ihren tanzbaren Clubsound aus Deep House, Funk, Jazz, Drum&Bass auf der Basis von ausgewählte Samples und Loops. Schade, dass der Groove nicht überspringen wollte.

Hoch lebe das Geburtstagskind
 
15 Jahre jung wurde die Jazz-Initiative, die sich die "Förderung des zeitgenössischen und des Improvisations-Jazz in Gelsenkirchen" ins Programm geschrieben hat. 266 Live-Events sind seit der Vereinsgründung am 22. Januar 2009 über die Bühnen an unterschiedlichen Locations gegangen. "Wir konnten viele exzellente Jazzmusiker und Jazzmusikerinnen in tollen Konzertprojekten, bei den Sessions oder in der Reihe GEjazzt OPEN präsentieren", blickte die Vereinsvorsitzende Eva Furmann zurück. "Dabei gab es immer einen regen Austausch zwischen den Künstlern, der Jazzszene und den interessierten Zuhörern. Seit 2011 gibt es mit dem GEjazzt-Schiff auf dem KulturKanal ein weiteres sich jährlich wiederholendes Event, das immer beliebter wird." Am Taufbecken von "GEjazzt" standen seinerzeit neun  Mitglieder, darunter Paul Baumann, seinerzeit städtischer Kulturdezernent. Heute zählt der Verein rund 60. "Noch lange nicht genug" so Eva Furmann. "Die Beitragszahlungen helfen und sind wichtig bei der Umsetzung unserer Ideen und Projekte. Ebenso gewünscht ist der persönliche Einsatz, der aber keine Verpflichtung darstellt. Er macht aber sehr viel Spaß, denn wir sind ein tolles Team."
 
Wer Interesse an einer Mitgliedschaft hat, wende sich an:
 
GEjazzt e. V.: Eva Furmann, Telefon: 0209 73 40 4, eMail: info@gejazzt.de
 
Text & Fotos:  Michael Kalthoff-Mahnke

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Bericht Jazzahead 2016
 
Wichtig, unkonventionell, divers!
 
Es ist das kleine Wort Diversity, mit einem verschmitzten Lächeln von der Trompeterin Maite Hontelé zwischen zwei ihrer Stücke im Bremer Schlachthof ausgesprochen, welches die 11. jazzahead! perfekt beschreibt. Zum einen, weil Hontelé klar macht, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, dass eine Trompeterin als Salsa-Bandleaderin vor einem internationalen Publikum spielt. Von diesen Geschichten erzählt die jazzahead! viele, es gibt Raum für das Unkonventionelle. Zum anderen aber, weil ein Wort ein zweiwöchiges Kulturfestival mit anschließender viertägiger Messe natürlich eben nicht beschreiben kann. Und so erzählt man, wenn man von der jazzahead! berichten will, nur von Highlights. Von Momenten, die aus dem diversen Programm hervorstechen.
 
Einer dieser Momente ist der Auftritt des israelischen Kontrabassisten Omar Avital. Es gibt Menschen, die sagen, ein Bassist tanze nicht. Die meinen, ein Bassist sei der Ruhepol einer Band, der cool und zurückhaltend in der zweiten Reihe stehen und die Musik zusammenhalten solle. Solche Menschen haben noch nie einen Bassisten wie Avital gesehen. Von der ersten Sekunde an strahlt er eine Lebens- und Spielfreunde aus, die sofort auf das Publikum übergeht. Und dabei schafft er es, exzellente Bandleader-Qualitäten aufzuweisen, ohne eine Solonummer à la Christian McBride aus seinem Konzert zu machen. Es dauert knapp zwanzig Minuten, bis es überhaupt ein Solo zu hören gibt. Avital führt die Band an, er hat seine Musiker im Blick und kommuniziert mit ihnen, ohne sich dabei selbst zu sehr in den Vordergrund zu spielen. Wie bei Hontelé, auch hier unerfüllte Erwartungen, unkonventionelle Rollenverteilung, Überraschungsmomente. Und dabei noch der 22 jährige Schlagzeuger Ofri Nehemya, der auf der jazzahead! gleich mit zwei Bands vertreten ist. Mit seinem Powerplay sorgt er immer wieder dafür, dass dem Publikum die Luft weg bleibt.
 
Eine weitere Überraschung ist die kanadische Pianistin Laila Biali. Sie erstaunt mit jedem Takt ihrer ausgefallenen Arrangements. Denn nie kann man sicher sein, in welche Richtung es mit der nächsten Eins geht. Ein als Pop-Ballade angefangenes Stück wird zum ausuferndem 5/8 Wirrwarr, ein allbekanntes Stück wie Coldplays Yellow ist nicht mehr wieder zu erkennen. Und auch bei ihr merkt man wieder, dass da eine starke Leaderin sitzt, die auf einer Augenhöhe mit der wahnsinnig präzisen Rhythmus Section, bestehend aus George Koller am Kontrabass und Ben Whittman am Schlagzeug zusammenspielt.
 
Und dann ist da noch die unbeschreiblich umfassende Clubnight. Aber davor nochmal kurz zur Frage der Existenzberechtigung. Macht das Neoliberale Format einer B2B-Messe überhaupt Sinn für diese so unkonventionelle und diverse Musik? Match-Making und Showcases, ist das nicht völlig unangemessen? Zeit um von der jazzahead! Clubnight zu berichten. Eine Nacht, in der das beschauliche Bremen Jazz atmet. In der an jeder Ecke Rhythm-Changes und Blues-Schemen aus den Kneipen dringen. So zeigen Jazz-Studierende der Hochschule für Künste als Die letzte Hoffnung was man in Bremen im Jazz-Studium lernt. Ein paar Hundert Meter weiter erklingt das in der Essener Folkwang Universität der Künste ausgebildete Quartett Marie Mokati  in der Villa Sponte und zeigt wie frisch und lebendig Musik aus dem Pott sein kann. Von solchen Auftritten könnte man lange weiter erzählen. Was damit gesagt werden soll: die jazzahead! ist keine exklusive Messe, auf der abgeschottet von Normalsterblichen über das Geschäft verhandelt wird. Durch Kulturfestival, Livestreaming der Showcases und Clubnight ist die jazzahead! für alle zugänglich, und sorgt dafür, dass der immer mal wieder totgesagte Jazz in die Köpfe und Ohren der Leute kommt.
 
Zurück auf die Bühne des Schlachthofs und damit zu Maite Hontelé. Sie ist mit ihrer Band nominiert für die Latin Grammy Awards. Sie ist eine der wichtigsten Newcomer im Jazz. Zusammen mit Linda Briceño aus Venezuela, eine weitere der vielen starken, engagierten Frauen die bei der diesjährigen jazzahead! eine wichtige Rolle spielen, gibt sie eines ihrer ersten Konzerte. Sie sagt, die jazzahead! wäre wichtig für sie. Und das ist das zweite kleine Wort aus ihrem Mund, das das Festival sehr gut beschreibt. Wichtig. Es ist wichtig, für den Jazz. Wichtig für sein Überleben, für das Bild das die Menschen von ihm haben und für seine Weiterentwicklung. Formate wie die jazzahead! ermöglichen, dass das Genre nicht auf der Stelle tritt. Hier ist Raum für etwas Neues, Raum für Veränderung. Und Raum für eine holländische und eine venezuelanische Trompeterin als Bandleaderinnen ein gefeiertes Salsa-Konzert vor internationalem Publikum zu geben.
 
 
Text: Jakob Fraisse
Fotos: Kurt Rade
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