Ingo Marmulla - virgin-jazz-face

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Stefan Bauer Quartet: „Mosaic“ im Dortmunder Domicil am 16.12.23
 
Die Weihnachtszeit kann ganz unterschiedliche Facetten haben. Besinnlichkeit, Ruhe und Freude auf der einen Seite, andererseits führt uns die Adventszeit auch den totalen Kommerz vor Augen und Ohren…
 
Alljährlich stellt Stefan Bauer zu dieser Zeit an wiederkehrenden Orten ein variierendes Bandprojekt mit internationalen Solisten zusammen. In diesem Jahr heißt sein Project „Mosaic“ uns besteht aus:
 
Matthew Halpin - Saxophon (New York, Wien)
Matthias Akeo Nowak - Bass (Köln)
Terry Clarke - Schlagzeug (Toronto)
Stefan Bauer - Vibraphon (Brooklyn-Recklinghausen)
 
Am Samstag, 16.12.23, mache ich mich (rechtzeitig) auf den Weg ins Dortmunder Domicil … Staus in der Innenstadt, ausgebuchte Parkhäuser, Weihnachtsmarkt mit Karrussel an der Reinoldikirche… und schließlich eine wohltuende ruhige Atmosphäre im Dortmunder Domicil. Nach einem kurzen Gespräch im Backstagebereich (und einem Interview mit Terry Clarke, davon mehr im Januar …) begebe ich mich an einen der Tische im Saal und freue mich in dieser angenehmen Ruhe Teilnehmer des Konzertes zu sein.
 
Das erste Stück „ Brooklyn Shindig“ beginnt mit einem Schlagzeug-Intro. Terry stimmt das Quartett mit einem an den New Orleans Stil stark synkopierten Beat auf die Komposition ein. Struktur, Melodik und Harmonik verbinden sich mit dem Rhythmus zu einem musikalischen Ganzen, das an die „Second Line“ erinnert, wie uns Stefan anschließend erläutert. Gemeint ist z.B. die ausgelassene Feierstimmung, die Musik und der Tanz im Anschluss an eine Beisetzung während der Beerdigungszeremonie in der Ursprungstadt des Jazz. Hier schon zeigt Terry Clarke seine Weltklasse. Er ist ein Meister des Swing in seinen unterschiedlichsten Formen, weiß erdige Grooves mit spannungsreichen Akzenten zu verbinden. Er trommelt sich dennoch nie in den Vorgergrund und verleiht dem Abend die entscheidende Lebendigkeit. Er ist auch, vielen garnicht so bewusst, der eigentliche internationale Star des Abends. Er begleitete unter anderem John Handy, Oscar Peterson, Nancy Wilson… und nicht zu vergessen “The Fifth Dimension”. Er denkt beim Spielen nicht in Kategorien, er ist ganz Musik, unterstütz und inspiriert seine Mitmusiker. Auf ca. 300 Tonträgern zu hören ist er die „Schlagzeuglegende“ aus Kanada, für alle Gitarristen bekannt durch seine Zusammenarbeit mit Jim Hall.
 
„Aspiration/Nov13“, auch dies wiederum eine Komposition von Stefan Bauer, beginnt mit ruhigen Vibraphonklängen, zu denen sich nach und nach die Mitspieler gesellen. Im Vordergrund steht eigentlich an diesem Abend immer das gemeinsame Spiel, nicht unbedingt der Solist. Es ist das improvisatorische gemeinsame Interagieren. Man wechselt sich ab, spielt episodisch nacheinander und wiederholt Kommunikationsstränge. Es geht nicht um die Zurschaustellung von virtuoser Technik. Und das ist auch das eigentlich Wohltuende an diesem Adventsabend, wenn man so will: Ein jazziges Wellnessbad. Man taucht ein in eher ruhige Klänge, die die ZuhörerInnen auch zu sich selbst führen und Raum lassen, aus der kommerziellen Weihnachtszeit auszubrechen …
 
Es geht weiter mit „Fifth Season“, einer Komposition des kannadische Gitarristen David Occhipinti, gefolgt von „Dog day afternoon“, einer Bluesballade des Saxophonisten  Mattiew Halpin. Seine ruhige, gefühlvolle und wärmeausstrahlende Spielweise passt wundervoll zum Gesamtkonzept Stefan Bauers. Matthew stammt aus Irland, war ua. Schüler von Joe Lovano, lebte zunächst in Köln und nun in Wien. Stefan erzählt, dass er Matthiew zunächst über seine kleinen Filme mit origineller Filmmusuk im Internet kennengelernt hat. Im Frühjahr trafen sie sich bei gemeinsamen Konzerten mit dem Cologne Contemporary Jazz Orchestra.
 
„Clown“ vom Bassisten der Band, Matthias Akeo Nowak, heißt das folgende Stück. Hier kann Matthias seinen vollen, runden Basston vorstellen, mit dem er der Musik an diesem Abend die Grundlage gemeinsame Improvisation bietet. Und da, wo Musik nicht von vorn bis hinten notiert ist, gibt es natürlich auch Abweichungen und Überraschungen, die immer improvisatorisch gelöst werden und den Abend so sympathisch machen. Auf dem Gesicht des Bassisten kann man deutlich die Freude an der Musik erkennen.
 
Nach weiteren Stücken von Bauer („Lonely moments“, „Zeitinseln“) endet der zweite Set mit einem Bauer-Klassiker: „ Coast to Coast“. Wie man so schön sagt: Hier geht die Post ab! Alle vier Musiker zeigen bei rasantem Tempo noch einmal ihr ganzes Spielvermögen.
 
Begeisterung im Saal … und der Ruf nach einer Zugabe. Die erfolgt dann mit dem Coleman-Blues „Turnaround“. Die nächste Adventszeit kann kommen.
 
Text & Fotos: Ingo Marmulla, 19.12.23


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Darum die (meine) Begeisterung über John Scofield (Yankee Go Home) im Dortmunder Domcil:
 
Einen Weltklasse-Gitarristen hautnah zu erleben, diese Möglichkeit bietet das Domicil in Dortmund, wenn man früh genug vor Ort ist. Unter Umständen schafft man es in die erste Reihe und hat so die Möglichkeit, beseelte Musiker gewissermaßen hautnah zu erleben. Damit meine ich nicht nur das Spiel auf dem Instrument, sondern auch das gesamte musikalische Wirken, bis hin zur Mimik und den Feinheiten der Motorik, Spannung und Entspannung zu Beginn des Konzertes und den Flow der gesamten Performance.
 
So fängt dieser Abend auch ganz locker mit einer rhythmisch, funkig-groovigen Improvisation an, die Band spielt sich gewissermaßen ein. Danach informiert Scofield sein Publikum über die Programmauswahl. „Today I’m going to play some songs of the 20th century. And when I look to my audience, I think, many of you will know the songs …“ - So in etwa mit einem Augenzwinkern die Worte des Protagonisten mit einer Anspielung auf sein eigenes Alter und das vieler Anwesender im Konzertsaal… Wie gesagt, so getan. Es folgt der Dylan-Song „Hey Mister Tambourine Man“ - natürlich klanglich an den Byrds orientiert.
 
Ich muss zugeben, spätestens ab diesem Zeitpunkt bin ich den Gitarrenklängen Scofields erlegen, und gebe mich emotional dem Konzertergeschehen hin. Natürlich kennt man die Stücke, ist man doch selbst auch geprägt von der Musik der frühen Jugendzeit, als es noch nicht von Bedeutung war, ob man einen Standard des American Songbook in allen Tonarten spielen kann …
 
Scofield in der Ankündigung:
 
Mein neuestes Projekt wird liebevoll "Yankee Go Home" genannt - was für mich eine Anspielung darauf ist, dass wir "Yankees" die Musik unseres Heimatlandes aufgreifen. Diese Band spielt Roots-Rock-Jazz, was eine Möglichkeit ist, sie zu definieren, aber wenn ich ehrlich bin, hasse ich es, das zu tun! Das Konzept besteht darin, Americana/Rock-Hits und verjazzte Folk-Songs zu covern … Ich besinne mich auf meine Rock n Roll-Wurzeln aus der Teenagerzeit - natürlich gefärbt durch meine 50-jährige Jazz-Praxis …
 
Scofield wirkt ungezwungen, konzentriert aber trotzdem locker und gelassen. Er nimmt sein Publikum mit auf eine Reise zu seinen musikalischen Wurzeln. Und das Publikum folgt ihm mit jeder Note. Das sympathische Erscheinen dieses Künstlers wird besonders durch seine eher zurückhaltende Art auf der Bühne verstärkt. Und gerade das wirkt sich auf das Verhältnis zu seinen Zuhörern, besser gesagt, zu seinen Zuschauern positiv aus. Scofield hat natürlich in seinem musikalischen Wirken schon sämtliche nur erdenkliche Höhen erklommen und kann nun „easy“ mit einer ziemlichen inneren Ruhe dem Fluss des Konzertes entgegen sehen.
 
Zudem ist die Band perfekt eingespielt. Wenn man sich den Tourneeplan anschaut, der auf der Homepage Scofields nach zu lesen ist, dann weiß man auch warum. Nach dem heutigen Konzert geht es direkt weiter in die Tschechische Republik, und zu den nächsten Dates. Die drei Mitmusiker unterstützen Scofield in seinem Wirken optimal. Natürlich bleibt er dabei die musikalische Hauptperson.
 
Der Pianist Jon Cowherd, in der Band auch kompositorisch aktiv, hält sich eher zurück, improvisiert natürlich überragend, aber überspielt mit seinen zweifellos vorhandenen virtuosen Fähigkeiten zu keinem Zeitpunkt das Konzertgeschehen und die Richtung des Konzertabends. Der Kontrabass, überzeugend gespielt von Vincente Archer, erfüllt seine Aufgabe als harmonische Basis vollends, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Jeder Grundton verstärkt an der richtigen Stelle die Aussage der Gitarre. Einzig das Schlagzeug agiert im Zusammenspiel der Band etwas weiter im Vordergrund. Josh Dion hält nicht nur das Geschehen formal zusammen, sondern unterstützt und inspiriert durch sein engagiertes kraftvolles Schlagzeugspiel die Improvisationen Scofields. Er agiert nicht nur mit den üblich zur Verfügung stehenden technischen Mitteln, sondern greift, wenn klanglich erforderlich, auch schon mal zum Tamburin. Und - was das Publikum besonders in Begeisterung versetzt: Er hat eine hervorragende Gesangstechnik und ergänzt gegen Ende des Konzertes zum Beispiel die Scofield-Version des Grateful Dead Klassikers „Black Muddy River“ durch seine Gesangsinterpretation.
 
Im weiteren Verlauf des Abends interpretiert Scofield unter anderem:
 
The Creator has a Masterplan (Pharoa Sanders - Leon Thomas)
I can't go for that (Daryl Hall & John Oates)
Eyes of the World (Grateful Dead)
Only Love Can Break Your Heart (Neil Young)
Turn on Your love Light (Bobby Blue Bland) …
 
Wenn man den Begriff des „Coverns“ verwenden würde, läge man an diesem Abend allerding nur „halbrichtig“. Natürlich ist es auch ein gewolltes Aufgreifen von „Oldies“ - doch Scofield schafft damit etwas Neues. Das Thema ist in der Regel gut erkennbar. Die Grundakkorde sind häufig simple Dur- und Mollakkorde, allerdings schon additiv mit Leersaitenklängen versehen und in der Phrasierung ganz eigen gespielt. Aber spätestens mit der solistischen Ausarbeitung der Songs wird der jazzmäßige Scofield hörbar. Er beginnt häufig mit wenigen Tönen, baut seine Melodien langsam auf und erzielt mit seine unnachahmlichen Melodiekaskaden effektvolle Steigerungen. Die Improvisationen werden im weiteren Verlauf freier, um nicht zu sagen: „free“. Die Begleitung bleibt dabei stets groovy, was die Akzeptenz des sehr freien Improvisierens Scofield im Publikum verankert. Trotz der Offenheit der Musik ist man unweigerlich vom Rhythmus mitgerissen und hat Spaß an den zahlreichen experimentellen Klangmomenten… Und Scofield ist ein Magier auf seinem Instrument. Oft fragt man sich, wie geht es nun weiter… und Scofield findet einen Weg zurück zur Basis des Songs.
 
Es ist der besondere Klang seines Spiels auf der Gitarre. Mit eigentlich wenig technischen Mitteln schafft er einen Sound, der sowohl klar als auch leicht bluesig angezerrt ist. Dabei ist jede einzelne Note durchaus unterschiedlich gefärbt. Er spielt sowohl mit dem Plektrum, als auch mit den Fingern. Er spielt „staccato“-Fetzen im Übergang zu Legatolinien. Er spielt mit hartem Stegklang, als auch im weichem Klangregister. Da ist das „Bending“, das Ziehen der Saiten, das Scofield auf seine Weise einsetzt. Und natürlich die „crescendi“ und „decrscendi“, die er ohne Schwellpedal so fantastisch erzeugt, selbst noch am Ende eines „Bendings“. Klar, da kommt der Blues und die Liebe zu R&B durch. Es ist aber auch eine Grundlage seines Spiels und des heutigen Programms. Man hat den Eindruck, Scofield sucht für jede Note einen besonderen Sound. Und es ist auch das immer Neue, nicht standardmäßig klischierte Spiel, das er sucht. Er scheint immer nach einer Alternative zu suchen. Vielleicht ist dies der Einfluss von Miles Davis, der seine Musiker immer aufgeforderte, das „Unmögliche“ hörbar zu machen.
 
In diesem Sinne kann ich mich nur dem faszinierten Publikum und den vielen anwesenden Gitarristen anschließen, für die dieser Abend ein absolutes Highlight war. Um nur eine Stimme zu zitieren (Ich hoffe, er nimmt es mir nicht übel … Bruno Müller saß eine Reihe hinter mir im Publikum): Es war göttlich - unbeschreiblich tolles Konzert - werde von diesem Abend noch lange zehren.
 
Text & Fotos: Ingo Marmulla für Virgin Jazz Face


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Jan Akkerman - Tour „75“ im domicil in Dortmund
 
Als ich hörte, dass Jan Akkerman ins domicil nach Dortmund kommt, stand für mich der Entschluss fest: „Dieses Konzert zu besuchen!“
 
Mit dem Namen Jan Akkerman verbinde ich einerseits die Focus-Hits „Hocus Pocus“ und „Sylvia“ in den frühen 70ern, andererseits die wegweisenden Jazzrockproduktionen unter seinem eigenen Namen in den Folgejahren, die ihm auch den Ruf des „weltbesten“ Gitarristen eingebracht haben. In dieser Zeit war für mich als jungem Musiker Jan Akkerman ein leuchtender Stern am Gitarristen-Himmel.
 
Mittlerweile sind seit dieser Zeit viele Jahre vergangen. Und ich muss gestehen, dass ich Jan Akkerman noch nie live erleben konnte. Im domicil bot sich also eine späte Gelegenheit…
 
Wie es sich so fügte, war ich nicht nur als Zuhörer und Fotograf im Saal, sondern hatte nach dem Konzert die Gelegenheit zu einem Gespräch. Ja, es war einfach großartig, einem der wichtigsten europäischen Gitarristen so nahe kommen zu können und den Menschen hautnah erleben zu dürfen.
 
Die derzeitige Tour, deren Auftakt hier im domicil stattfand, und das aktuelle Vinyl-Album sind betitelt mit der Zahl „75“, bezogen auf das Alter Jan Akkermans. Am „Heiliger Abend!“ feiert er seinen nächsten Geburtstag…
 
Jan Akkerman ist auf seine Weise wirklich jung geblieben. Er muss auf der Bühne nichts mehr beweisen, das hat er alles schon vor Jahrzehnten getan. Umso lockerer spielt er einfach seine Musik. Man hört natürlich nichts wirklich Neues. „Man muss nicht ständig“ wie er im Gespräch sagt, „das Rad neu erfinden. Aber ich versuche immer aufs Neue in meinen alten Stücken kreative Wege zu verfolgen.“
 
Begleitet wird er an diesem Abend von seiner Band, mit der er in den letzten Jahren regelmäßig zusammen arbeitet:
 
Marijn van den Berg – drums
David de Marez Oyens – bass
Coen Molenaar - keyboard
 
Allesamt akademisch ausgebildete Musiker, die natürlich selbst wieder an den Hochschulen unterrichten.
 
Das Programm des Abends basiert auf der zuletzt eingespielten CD „Close Beauty“ und auf der Doppel-LP „75“. Größtenteils sind dies alles Stücke, die schon auf älteren Produktionen zu hören sind. Die Band beginnt mit einem ganz lockeren ruhigen Stück. Es scheint, als würden die Musiker jammen. Bass und Schlagzeug fungieren dabei fast während des gesamten Konzerts als rhythmisch-harmonische Basis und legen so das Fundament für die ausgedehnten Improvisationen von Jan Akkerman und seinem überzeugenden Keyboarder Coen Molenaar.
 
„Meine Stücke vereinen Jazz und Rock, aber auch Klassik!“ so seine Beschreibung der Kompositionen, die an diesem Abend vor einem Publikum gespielt werden, das die Musik schon seit langem kennt. Der Wiedererkennungswert ist dabei natürlich groß - und Akkerman spielt für sein Publikum, unterhält sich mit ihm: „Soll ich deutsch oder englisch sprechen?“ Er macht witzige Bemerkungen und ist einfach nur total locker drauf. Wir hören unter anderem:
 
Crackers, Piétons, Tranquilizer oder das gefühlvolle You do something to me…

„Aber meine Musik enthält auch viele ethnische Elemente. Als ich jung war, habe ich mit  Musikern aus Surinam gespielt, und aus Kuba, karibische Musik, daher kommt mein Gefühl für Rhythmus. Das war mit 12 oder 13 Jahren…“ Später kam dann auch ein Studium der Klassischen Gitarre und der Laute dazu. „Aber ich wollte nicht wie ein klassischer Gitarrist allein auf der Bühne sitzen.“ Und so waren es dann doch Bands, die ihn in den Bann zogen und wiederum vom Studium der klassischen Musik fort zogen. Die Laute spiele er nur noch selten: „Das ist eine Welt für sich, und die Finger wollen nicht mehr so…“ Dafür spielt er umso mehr elektrische Gitarre, und zwar mit allen Effekten, die möglich sind. An einigen Stellen meint man sogar, die holländische Inkarnation von Jimi Hendrix wahrzunehmen. Ja, die Musik ist laut! Aber das stört keinen an diesem Abend, denn das ist der „Rock“ in der Musik von Jan Akkerman. Und seine Gitarre klingt fantastisch!
 
„Bevor ich Gitarre spielte, spielte ich Akkordeon, Knopfakkordeon. Und zwar in einem Orchester mit 20 Musikern, da war sogar ein Bassakkordeon dabei. Wir spielten alle die klassischen Melodien wie Cavellaria Rusticana … Schon als kleiner Bub’ hab ich klassische Stücke gespielt,
 
Das fließt alles in meine Mischung aus Jazz und Rock hinein. Da gab es französische Chansons, ja sogar deutsche Volkslieder … Was ich mache, worauf es ankommt in meiner Musik, ist: Dynamik. Ich mag keine Shows mit durchgehender Power. Da muss Abwechslung rein, das ist das Wichtigste! Die können alle spielen, was sie wollen, viel Technik, das stört mich nicht. Aber es muss authentisch sein!“ Die Musik Akkermans ist keine Einbahnstraße. Das hört man in den unverwechselbaren Stücken von Jan Akkerman. Was zunächst mit bluesartigen Riffs beginnt, nimmt plötzlich einen neuen harmonischen Verlauf. „Ich habe als junger Musiker neben Blues fast gleichzeitig auch Jazz gehört: Django Reinhardt und Wes Montgomery.“
 
Das kann man deutlich vernehmen in seiner Zugabe, in dem Stück mit dem Titel Zebrah. Ein Stück, dass er auch schon mit dem Rosenberg Trio gespielt hat, ganz im Stil von Django Reinhardt. Die Komposition erinnert mich sehr stark an Benny Goodman’s Sing, sing, sing.
 
Das Ganze an diesem Abend aber unterlegt mit einem durchgehenden Disco-Beat und Improvisationen eines hyperelektrischen „Django Reinhardt“!
 
Das Alter merkt man dem Gitarristen natürlich an, aber das ist ohne Bedeutung. Akkerman findet andere Wege, seine Musik auf einer neuen Ebene zu interpretieren. “Ich muss nicht ständig um die Tischplatte rennen, um mich selbst einzuholen. Auf Geschwindigkeit kommt es gar nicht an. Die Musik muss vom Herzen kommen!“
 
Auf die Frage hin, was er den jüngeren Musikern empfehlen könnte, worauf Sie achten sollten, antwortet er zögerlich: „Ja was soll ich da sagen? Ich glaube, die jungen Musiker haben es heute sehr schwer, alle versuchen besonders gut zu sein, klingen dabei häufig ganz gleich. Aber ich verstehe das, man muss natürlich auch Geld verdienen. Aber worauf es ankommt, ist die eigene Sprache, sich selbst auszudrücken. Ja selbst beim Blues ist es so, da entwickelt sich ein Stillstand, es klingt alles gleich. Ich sollte damals mit B. B. King auf Tournee gehen. Ich habe ‚nein’ gesagt. Das war mir zu einseitig, ich wollte immer meinen ganz eigenen Weg gehen…“
 
Die eigenen musikalischen Wege geht Jan Akkerman bis heute unbeirrt weiter. Das Publikum im Saal dankt es ihm mit frenetischem Applaus und erhält dafür zwei Zugaben von einem der „weltbesten“ Gitarristen und einem liebenswürdigen Menschen.
 
Text & Fotos: Ingo Marmulla


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Klangvocal im Domicil mit „Nes“ 2019
 
Freitag, 07.06.19 – 20 Uhr, das Domicil ist bis zum letzten Platz ausverkauft. Der Ruf eines spektakulären Live-Ensembles eilt den drei Musikern aus Algerien, Spanien und Frankreich voraus. Dass die Erwartungen des Publikums nicht zu hoch ausfallen, wird schon bei den ersten Takten der Eingangskomposition deutlich: Nesrine Belmokh, die zentrale Musikerin des Trios, steht konzentriert vor dem Mikrophon und stimmt unter gestischer Unterstützung ihrer Hände einen arabisch klingenden Duktus an. Es dauert in der Tat nur wenige Sekunden, bis das Auditorium der Sängerin an den Lippen hängt. Als die Melodie durch Cello und Percussion unterstützt wird, kann sich „Nes“ sicher sein, dass das Konzert in einem erfolgreichen Fahrwasser verläuft...
 
Nesrine Belmokh ist in der Tat eine Ausnahmemusikerin. Klassisch geschult hat sie schon mit dem Opernorchester Valencia unter Lorin Maazel oder im West-Eastern-Divan Orchestra unter Daniel Barenboim gespielt. Schon seit ihrer Kindheit ist sie auch als Sängerin aktiv und kann nun in dieser Formation beides miteinander verknüpfen. Unterstützt wird sie von einem weiteren virtuosen Cellisten (Matthieu Saglio) und dem Percussionisten David Gadea. Beide spielen schon seit längerer Zeit zusammen in verschiedenen Gruppen der Weltmusik-Szene. Wenngleich „Nes“ im Mittelpunkt steht, so wird sie dennoch maßgeblich von ihren Mitmusikern unterstützt. Gadea gelingt der Brückenschlag zwischen Drums und verschiedenen Percussionsinstrumenten, der über eine typische Drum-Begleitung hinausgeht und immer wieder kleine überraschende Farbakzente setzt. Saglio ergänzt die rhythmische Struktur in ihrer Ganzheit, überzeugt durch schwungvolle Soli und schafft den Raum für den über allem stehenden Gesang. Man kann erstaunt sein über den überzeugenden Gesamtklang einer Formation mit zwei Celli...
 
Die Songs entstammen offensichtlich ua. dem neuen Album: „Ahlam“, erschienen bei Act. Wir hören „Bye Bye“, das Titelstück „Ahlam“, „You made it Hard for Me“ und andere Songs, mal in arabischer, englischer oder französischer Sprache. Die musikalische Struktur ist mal bluesig, erinnert an Reggae, Soul, Jazz oder französische. Chansons - eine Mischung aus vielen Strömungen, vereint in der einmaligen Darbietung Nesrine Belmokhs und ihrer Mitmusiker. Ein wunderschöner Abend mit einer einmaligen musikalischen Darbietung, der das Publikum mit Sicherheit zu zahlreichen Fans von „Nes“ verzaubert hat.
 
Text & Fotos: Ingo Marmulla

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Peng-Festival 2018 – Tag 2
 
Der zweite Abend des diesjährigen Peng-Festivals begeisterte durch drei sehr unterschiedliche Bands, allen gemein war jedoch das hohe spielerische Niveau und das improvisatorische Engagement.
 
Die Eröffnung macht das Eva Klesse Quartett. Die Schlagzeugerin hält seit 5 Jahren eine Band zusammen, die in dieser Zeit viele Erfolge feiern konnte und häufig auf Reisen war. An diesem Abend ist sie gerade von einer Ägypten-Tour zurück. Das langjährige Zusammen spiel ist unüberhörbar. Neben der Schlagzeugerin, die ihr Instrument überzeugend beherrscht, kann sich vor allem der Altsaxophonist Evgeny Ring in Szene setzen. Die Themen und die Improvisationen, melodisch versiert, häufig thematisch an klangmalerische Elemente angelehnt sind sehr abwechslungsreich, tonal gefestigt, manchmal vielleicht ein wenig zu „klassisch“. Aber das soll eben so sein und ist kein Makel für das gekonnte, in sich stimmige Auftreten des Quartettes. Lang anhaltender Applaus belohnt den souveränen Act im Maschinenhaus der Zeche Carl, mit seiner historischen Atmosphäre und seine überraschend guten Akustik, an der die Techniker mit Sicherheit einen ihren Anteil hatten.
 
Nach kurzer Pause betritt ein ganz anderes Feuerwerk die „Bühne“: Ampair:e, mit Hanna Schörken (Stimme + Electronics), dem genialen Bernd Oezsevim am Schlagzeug und Constantin Krahmer (Synthesizer). Diese Musik ist ganz anders verortet. Die Improvisation steht im Vordergrund. Schörken bedient sich aller stimmlichen Mittel und Techniken: vom leisen Zischen bis zum emotionalen Aufschrei, vom tiefen Murmeln bis zum ekstatischen Stammeln, hohe Stimmkaskaden gehen über in monologisierenden Rap, Wortfetzen, die verschiedenste Assoziationen entstehen lassen. Sehr, sehr mutig, und alles andere als gefällig! Das ganze wird getragen von den Klängen des Synthesizers, vermischt mit einigen schönen Single-Lines am E-Piano, und vor allem durch den energischen, fast immer rasant pulsierenden Beat des Schlagzeugs.
 
Interessant ist da eigentlich die Entwicklung hin zu diesem Sound, der – wie sich im Gespräch herausstellt – ohne Kenntnis einer späten Julie Driscoll (Tippetts), oder noch besser: der Musikkommune Amon Düül II entsteht.
 
Vielleicht der Höhepunkt des Abends: Anna-Lena Schnabel. Diese zierliche, quirlige junge Dame dominiert mit ihrer Person die Erscheinung ihres Quartetts. Sie versucht sich bewusst von ihrer instrumentalen Virtuosität zu emanzipieren, klingt manchmal brötzmannesk, machmal ganz melancholisch, bricht in ihren Stücken alle Tabus und kommt zu sehr eigenwilligen musikalischen Aussagen in Stücken, die das Thema des Lebens beschreiben: „Plöpp“. Ihr ist auch ein besonderer Humor zu Eigen. „Das nächste Stück habe ich für unseren Schlagzeuger geschrieben. Damit er es aber nicht zu leicht hat, habe ich das Stück Björn-Out genannt! ...“ Tja, der Trommler ist gut (Björn Lücker). Etwas älter, als der Rest der Gruppe, versteht er es, den durchgehenden Beat der Kompositionen in freies Pulsieren umzuwandeln. Das Auftreten der Saxophonisten ist schon ziemlich ungewöhnlich. Während eines Klaviersolos lädt sie diverse Becken und Glöckchen auf die Saiten des Flügels, das Abräumen danach darf der Pianist selbst vornehmen. Anna-Lena Schnabel will anders sein, sich bewusst verweigern. Bei den Kompositionen fehlt mit persönlich manchmal der rote Faden, aber das wird sich weiter entwickeln. Als Zugabe hören wir sie abschließend auf der Flöte: „Gute Nacht“. Hier muss ich wirklich meine Bewunderung gestehen. Selten habe ich eine solch beseelte und himmlische Flöte gehört, wie in dieser Zugabe, in einem Stück, das typischer Weise komplett aus dem Programm fiel. Man darf gespannt sein, wie’s mit Anna-Lena weiter geht.
 
Text: Ingo Marmulla, Fotos: Kurt Rade

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Einspielbesprechung Kaleidoskop: Search for Beauty
 
„On the Road“ in Sachen Jazz und Weltmusik
 
Recklinghausen, 11.3.2018
 
Hinter dem Projekt, der Band und der vorliegenden CD steckt der Gelsenkirchener Gitarrist Christian Hammer. In seinem informativen CD-Text schreibt er selbst:
 
„Entstanden ist Kaleidoskop im Rahmen meiner Konzertreihe Hammer+3. Seit Januar 2008 lade ich befreundete Musiker*innen in die Kunstgalerie „werkstatt“ nach Gelsenkirchen-Buer, um an diesem besonderen Ort in der Atmosphäre wechselnder Ausstellungen außergewöhnliche Konzerte zu realisieren. Im Januar 2015 spielten wie zum ersten Mal in dieser Besetzung, die sich als echter Glücksgriff heraus stellen sollte. Die Möglichkeit Modern Jazz mit osteuropäischen und orientalischen Einflüssen zu verbinden, hatte mich schon immer gereizt und in den Dreien hatte ich die idealen Partner gefunden.“ Neben Christian Hammer an der Gitarre sind dies der in Kiew geborene Saxophonist Dimitrij Markitantov, Alex Morsey am Bass und an der Tuba sowie der Percussionist Fethi Ak.
 
Christian Hammer als Initiator hat es verstanden, mit diesen Musikern eine Besetzung zu formieren, die sowohl von der Spieltechnik, der musikalischen Realisation als auch von der kompositorischen Genese und der Auswahl der Stücke den Anspruch einer Verbindung von Jazz und Weltmusik erfüllt. Die Kompositionen stammen überwiegend von Hammer und von Markitantov.
 
Hammer auf der Gitarre, wie immer technisch und spielerisch überzeugend, melodiös einfühlsam, gleichsam experimentell und dennoch im Kontext sicher begleitend und unterstützend, gibt den Rahmen für das gemeinsame Spiel und die Improvisationen vor.
 
Markitantov gelingt es auf dem Alt- und dem Sopransaxophon Klänge und Tonkaskaden hervor zu zaubern, die die Zuhörer unmittelbar in eine balkan-orientalische Welt versetzen. In einigen Fällen klingt sein Sopran einer „Zurna“ zum verwechseln ähnlich. Hinzu kommt der melodisch süd-östliche Duktus und entsprechende Verzierungen, die Markitantov souverän beherrscht. Über Alex Morsey muss man nicht mehr viele Worte verlieren, er hat sich in unzähligen Besetzungen und Projekten zu einem der wichtigsten Bassisten unserer Region gemacht. Die Kombination Hammer-Morsey funktioniert ohnehin schon seit Jahren. In dem Stück „Nini“ beweist er seine Fähigkeiten auch auf der Tuba, was Morsey zu einem Bassisten mit Alleinstellungsmerkmal macht. Fethi Ak als Percussionist (Darbuka etc.) gibt der Gruppe den musik-sprachlichen Akzent und verleiht dem Projekt entscheidende rhythmische Impulse.
 
Die Kompositionen besitzen häufig mehre Themen („Speed“), unterschiedliche Tempi als auch variierende Takte. So finden wir 7/8, 5/8 – Takte neben normalen „Vierern“. Das thematische Material wird häufig unisono von Gitarre und Saxophon vorgetragen und findet seine tonale Basis in einem Ostinatobass, der als ein tragendes Element dieser Musikrichtung nicht fehlen darf („On the Road“). Solistische Improvisationen stehen Percussions-Dialogen von Darbuka und Melodie-Instrumenten gegenüber. In Hammers Stücken klingen Jazzharmonien an - bei anderen Stücken vernehmen wir Reggae-Rhythmen...
 
Fremdkompositionen sind das Stück: „La Vie Continue“, bekannt geworden durch den französischen Trompeter Erik Truffaz, der seinerseits seit Jahren Brücken zwischen verschiedenen Musikstilen schlägt, oder auch der Jazzstandard „Love for Sale“. Christian Hammer erzählte mir, dass dieses Pure-Jazzstück auf eine Version Chet Bakers zurück geht, die sich ihrerseits als Funky-Version weit vom „Original“ entfernt hat. Mit “Morenika“ schließlich endet die Produktion in einer balladesken Kollage, in der neben analogen Klängen auch elektronische Elemente zu vernehmen sind.
 
Alles in allem kann man Christian Hammer zu seinem neuen Projekt beglückwünschen und die CD allen Jazzhörern empfehlen, die bereit sind, sich auf neue stilübergreifende Musik einzulassen. Weiter so ...
 
Kaleidoskop: Search for Beauty
UTR 4808  (Unitrecords.com)
CD Hülle Karl Rosenwald
 
Text: Ingo Marmulla

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Schlippenbach Trio auf „Winterreise“
 
Alexander von Schlippenbach ist seit Entwicklungsbeginn eines eigenständigen europäischen Jazz in den 60er Jahren einer der herausragendsten Vertreter der freien Jazzszene in Deutschland. Unter seiner Leitung versammelte sich die europäische Avantgarde im Globe Unity Orchester, mit der er seit über 50 Jahren weltweit unterwegs ist. Dabei hat er auch in kleineren Formationen Jazzgeschichte geschrieben. So ist er beispielsweise alljährlich mit seinem Trio unterwegs in Sachen „Winterreise“. Die von ihm organisierte Tour führt die Formation unter anderem nach Luxemburg, Wien, Zürich, Amsterdam, München, Genf und am 30.November nach Recklinghausen in die Altstadtschmiede.
 
Zu lezterem Auftritt gibt es natürlich eine Vorgeschichte...
 
Vor gut einem Jahr war Schlippenbach Gast in unserem „Schmiede-Syndikat“ mit seinem Monkprogramm. Das Konzert mit den von Schlippenbach und mir arrangierten Monk-Kompositionen war ein voller Erfolg, so dass wir über die Möglichkeit eines Folgekonzertes nachdenken konnten.
 
Gesagt, getan – nach einem Anruf Schlippenbachs im Sommer entstand die Idee zu einem Konzert der besonderen Art:
 
Part 1 – Schlippenbach Trio
 
Part 2 – Schlippenbach Trio + Gäste.
 
Da wir in der Schmiede nur „Opener-Konzerte“ finanzieren und veranstalten können, überlegten wir gemeinsam, wie man dieses Session-Konzept an solch einen Donnerstag-Abend mit Trio und Gästen gestalten könnte. Die Lösung sieht nun folgendermaßen aus:
 
Zu Schlippenbach mit Evan Parker (Tenorsax) und Paul Lytton am Schlagzeug (der für den erkrankten Paul Lovens einspringt) gesellen sich nach dem Trio-Konzert und einer Pause Stefan Werni am Kontrabass, Katrin Scherer (Altsaxophon), Ove Volquartz (Bassklarinette) und Ingo Marmulla an der Gitarre. Da alle Beteiligten einschlägige Erfahrung mit freien Jazzformen haben, dürfte sich eine interessante „Special Session“ entwickeln. Auf jeden Fall wird es ein spannender Abend für beide Musikergruppen und natürlich auch für das Publikum, das an diesem Abend etwas anderes als gängige Standards geboten bekommt.
 
Um mich auf den Abend einzustimmen, hatte mir Alex freundlicherweise eine CD mit genau dieser Trio-Besetzung zukommen lassen: „America 2003“, erschienen aud Evan Parkers Label PSI Records. Ich habe mit Alex vor einigen Tagen nochmals über den Konzertabend, über die CD und über persönliche Dinge sprechen können. Die typischen kurzen. aber treffenden Antworten auf meine den Konzertabend hoffentlich beleuchtenden Fragen seien hier wieder gegeben...
 
I.M.
 
Du hast mir schon vor einigen Monaten bei unserem gemeinsamen Monk-Konzert von eurer “Winterreise“ erzählt und damit auch eine Option für ein Konzert im Rahmen unserer JazzIni ins Spiel gebracht. Nach der Klärung einiger organisatorischer Vorbedingungen konnten wir diesen Abend nun planen. Wir freuen uns natürlich schon alle riesig. Es wäre daher schön, wenn wir hier einige Infos für die Jazzfreunde im Lande zu eurer „Winterreise“ erhalten könnten. Zunächst eine Frage zum Tournamen „Winterreise“. Das weckt natürlich sofort romantische Assoziationen.
 
AvS:
 
Das ist eher unromantisch, weil es sich bei uns nur auf die Jahreszeit bezieht. Es ist eine Art Saison, in der wir die meisten Konzerte geben können. Aber auch eine entferntere Verbindung zu Schubert ist uns allemal genehm.
 
I.M.
 
Wenn ich Freunde und Bekannte zu dem Konzert einlade und die mich fragen: „Was wird denn da gespielt?“ - dann würde ich bei traditionellem Jazz über Stilistik, Besetzung oder Repertoire sprechen. Wie würdest Du eure Musik mit Worten umschreiben?
 
AvS.
 
Free Jazz.
 
I.M.
 
In der Kürze lässt sich die folgende Frage wahrscheinlich nicht beantworten, dennoch sei sie gestattet. Du hast mit Bebop angefangen, aber auch Komposition ua. bei Zimmermann studiert. Du spielst ja auch heute noch Monk oder Dolphy, das werden aber die Zuschauer beim Recklinghäuser Konzert nicht unmittelbar erfahren. Wie bringst du diese beiden Richtungen zusammen, wie haben sie deine musikalische Entwicklung beeinflusst?
 
AvS.
 
Da gibt es eine Wechselwirkung von beiden Seiten. Es hängt davon ab, unter welchen Umständen ich mit was für einer Gruppe arbeite. Das Trio, mit dem wir - abgesehen von möglichen Jazzeinsprengseln - frei improvisieren, besteht schon sehr lange.
 
I.M.
 
Die Studierenden an den Jazzhochschulen können schon nach wenigen Semestern recht stilsicher spielen und improvisieren. Der Free Jazz spielt da eine untergeordnete Rolle. Sollte man Kurse zur freien Improvisation ins Studium einflechten, oder muss da jeder seine eigenen Erfahrungen machen?
 
AvS.
 
Natürlich könnte man Seminare für Improvisation an den Musikhochschulen einrichten. Ich glaube, das gibt es sogar schon...
 
I.M.
 
Du hast mir die Doppel-CD „america 2003“ geschickt, die ihr 2003 während einer Tour durch die Staaten und Canada aufgenommen habt. Da werden im CD-Text inhaltliche Bezüge zu Franz Kafka angeführt. Kannst Du uns einige Details über dieses Projekt erzählen.
 
AvS.
 
Die inhaltlichen Anlehnungen an Kafka sind später hineinInterpretiert worden. Der Titel „america" bezieht sich ausschließlich auf die fünfwöchige Tour, die wir mit diesem Trio damals in den USA unternommen haben.
 
I.M.
 
Wie steht man eigentlich eine solch lange und kalte „Winterreise“ durch? Es ist ja kein Geheimnis, dass im April des kommenden Jahres dein nächster runder Geburtstag ansteht?
 
AvS.
 
Wir sind ein gutes, eingespieltes Team, bei dem man sich aufeinander verlassen kann. Auch ich bekomme es, trotz meines anstehenden runden Geburtstages, noch einigermaßen hin.
 
I.M.
 
Im Anschluss an das Trio-Konzert ist in Recklinghausen eine gemeinsame „Special Session“ mit Jazzakteuren aus dem Ruhrgebiet geplant. Wie gestaltet sich in eurer gemeinsamen Improvisation das Verhältnis von bekannten, erwartbaren und andererseits offenen, neuen musikalischen Interaktionen?
 
AvS.
 
Auch hier gibt es eine Wechselwirkung aus beiden Richtungen.
 
Auf die "Special Session" dürfen wir gespannt sein!
 
I.M.
 
Welche Pläne hast Du für 2018 und darüber hinaus?
 
AvS.
 
Spielen und Komponieren so viel wie möglich!
 
Konzerthinweis:
 
Alex von Schlippenbach Trio + Gäste
 
Altstadtschmi8ede, 30.11.17, 20.30 Uhr
 
CD-Tipp:
 
„america 2003“ psi records evanparker.com/psi.php
 
Text und Foto: Ingo Marmulla

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Alex Conti - Jazz Blues Fusion
 
Bad Emstal, 25.5.17 - Kurz vor 12 Uhr treffe ich in Bad Emstal (Naturpark Habichtswald) ein. In einer neu angelegten Ferienwohnanlage treffe ich mich mit Alex Conti. In dieser idyllischen Lage wohnt er seit einiger Zeit und fühlt sich hier als ehemaliger Großstädter (Berlin / Hamburg) sichtlich wohl. Per Handy und zusätzlichem Winken während meines Hilfetelefonats werde ich zu seiner Wohnung gelotst. Er hat schon alles vorbereitet für unsere Duo-Probe...
 
Es war mir vor einigen Wochen gelungen, Alex Conti zu einem „Opener-Konzert“ in die Recklinghäuser Altstadtschmiede einzuladen. Zu den klassischen Jazzopenern der JazzIni kann durchaus auch mal ein Vertreter des Blues-Rock stoßen, vor allem, wenn er so deutliche Jazzanleihen aufweist, wie Alex. Für mich ist er einer der besten Bluesgitarristen auf dem Kontinent. War er doch schon mit 17 Berufsmusiker in Berlin, lebte in London und tourte mit Inga Rumpf und Atlantis durch die Staaten. Mit „Lake“ gelangte er in die Charts und tourte wiederum als Vorgruppe von Lynard Skynyrd durch Europa und die USA. Es folgten Solo-Alben und eine Zusammenarbeit mit Herwig
Mitteregger. Mit der Hamburg-Blues-Band begleitete er diverse englische Rockstars. Überflüssig weitere Stationen zu erwähnen ...
 
Zurück zur Altstadtschiede ... Wie bereitet man ein solches Konzert in vor?

Antwort: Man fährt nach Bad Emstal. Die Band für diesen Abend steht eh:
 
Bernd Gremm – drm (blueserfahren), Stefan Werni (Allrounder), Thomas Hufschmidt (bluesaffiner Pianoprofessor). Aber ein persönliches Treffen eine Woche vor dem Konzert ist doch unerlässlich und eben auch spannend.
 
Nachdem mir Alex seine Gitarren zeigt und seinen Marshall erklärt beginnt unsere Probe, immer wieder unterbrochen von gegenseitigen Anekdötchen.
 
A.C. – Vielleicht sollten wir mit den einfacheren Bluesstücken beginnen. Da brauchen wir eigentlich nur die Tonart fest zu legen. „Top of the Hill“ von John Mayall.
 
... Wir spielen den Song und üben den zweistimmigen Gesang ...
 
A.C. – Ich war mal bei einem Konzert von John Mayall. Ich war noch Schüler, ging in der Pause in den Backstageraum. Er spielte damals mit Mick Taylor. Ich nahm seine spezielle Gitarre und spielte ein wenig darauf. Ich konnte nicht anders. Mayall bat mich damals gentlemanlike, nicht auf seiner Gitarre zu spielen. Er kam mir vor, wie ein Gott. Er war was Besonderes für den Blues in Europa und hatte auch Spaß an Experimenten: Mal eine Band ohne Schlagzeug, oder „Jazz Blues Fusion“ mit Blue Mitchell ... Clapton, Peter Green ... alle wichtigen Londoner Gitarristen gingen in seine Lehre.
 
I.M. – Wie wäre es jetzt mit „Talk to me, Baby“ von Elmore James. Ich kenne es eigentlich nur von der „Ocean Boulevard“-LP. Als ich beim Bund in Schleswig war, hab ich in der Musikbox immer „I shot the Sheriff“ gedrückt. Damals hab ich übrigens Atlantis in Rendsburg gesehen. Aber ich glaube, du warst nicht dabei. Ihr hattet doch die Wahnsinnsplatte „Atlantis Live“ raus.
 
A.C. – Ja. Für diese Platte bekomme ich heute noch Tantiemen. Ich werde häufig nach dieser Platte gefragt. Ich glaube, als du Atlantis gesehen hast, war ich gerade ausgestiegen, so 1975 ... Aber die Clapton-Version („I can’t hold out“) kenne ich irgendwie nicht ... Lass uns den Song in C-Dur spielen...
 
So geht es weiter mit den einfacheren Songs im 12er Bluesschema. Dann kommen die Instrumentals an die Reihe. Alex hat vor acht Jahren die CD „Shetar“ herausgebracht. Mit „She“ ist die Gitarre gemeint. Vier Titel sollen gespielt werden. Wir vergleichen meine Leadsheets mit den CD-Aufnahmen und legen den Ablauf fest. Diese Musik ist komplexer, da die Vocals von der Gitarre übernommen werden und der Ablauf der Kompositionen nicht mehr improvisiert werden kann: „You might need somebody“ von Randy Crawford in Eb-Moll.
 
I.M. – Alex, wenn man dich hört, dann hört man neben dem Blues-Idiom auch deutliche Jazz-Einflüsse.
 
A.C. – Ja, klar. Irgendwann hörte ich neue Aufnahmen von Miles Davis, mit John McLaughlin an der Gitarre. Miles kannte ich zwar schon mit Coltrane, aber das hier war neu. Dann gab es vor allem viele neue britische Jazzrockbands. „Soft Machine“ war für mich ein Erweckungserlebnis. Später spielte die Band mit Allan Holdsworth, da wusste ich, man muss weiter suchen, man darf nicht stehen bleiben. Es gab Bands wie „If“, „Nucleus“ oder den Gitarristen Chris Spedding etc. Die Engländer zeigten neue Wege auf. Und die neueren amerikanischen Bluesgitarristen spielten eh wesentlich mehr, als die ursprüngliche Pentatonik. Da musste man einfach mit gehen ...
 
Kaum möglich, in diesem kurzen Report das gesamte Gespräch wieder zu geben, obwohl das für viele Gitarristen interessant wäre. Aber das Thema Hendrix sei noch erwähnt:
 
I.M. – Sogar heute noch, wenn ich Hendrix auf YouTube sehe, bin ich total weg...

Leider hab ich ihn nicht live erleben dürfe. Fehmarn wäre vielleicht noch eine Möglichkeit gewesen, aber es hat halt nicht sein sollen.
 
A.C. – Mach dir nichts draus. Da wärest du wahrscheinlich enttäuscht gewesen!

Ich habe ihn dreimal gesehen. Das erste Mal 1967 in der „Neuen Welt“ in Berlin. Da hatte er gerade die Single „Hey Joe“ heraus. Die LP war noch gar nicht erschienen. Das hat mich umgehauen. Ein Marshallturm, spielerisch unglaublich gut, einfach unfassbar. Dann Ende 1969 im Sportpalast. Da hörte man nur noch Gitarre. Er spielte über vier Marshalltürme zu allen Seiten. Das Schlagzeug war kaum zu hören, der Bass klang wie ein einziger wummernder Ton. Trotzdem war das noch ein Erlebnis. Dann 1970, kurz vor Fehmarn. Buddy Miles war kurz vorher aus „Band of Gypsys“ ausgestiegen, Mitch Mitchell spielte wieder und Cox am Bass. Er wirkte irgendwie ausgebrannt. Ich weiß noch, dass ich mich das Konzert total gefrustet hat.
 
Nach unserer „Probe“ mache ich noch ein Foto für diesen Bericht und begebe mich auf den Weg ins nahe gelegene Göttingen, wo mich schon einige Jazzfreunde erwarten. U.a. gibt es da eine Jazz-Session im „Apex“. Doch bevor das am Abend passiert, schicke ich noch eine SMS an Alex: „Albert Lee war vor zwei Tagen im „Nörgelbuff“. Unglaublich! In den Siebzigern haben wir für 20 Mark in den Kellergewölben gespielt ...“
 
Rückmeldung A.C.– Ja, natürlich! Allein die Hamburg Blues Band hat da mindestens zehn Konzerte gespielt. Ich war immer gerne da ...
 
Text & Foto: Ingo Marmulla

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Paul Heller invites Biréli Lagrène
 
Köln, 12.2.2017 - Der Saal des Kölner Stadtgartens ist prall gefüllt, der Gastgeber der Reihe „Next Level Jazz“, der WDR-Bigband Saxophonist Paul Heller, empfängt die Gäste des heutigen Abends: Martin Gjakonovski am Bass, Hans Dekker (sein WDR-Bigband Kollege) am Schlagzeug und natürlich Biréli Lagrène, der Star an der Gitarre. Letzterer wurde vom anwesenden Publikum mit Spannung erwartet. Ein Gitarrist, der als Wunderkind auf seinem Instrument zunächst auf den Pfaden von Django Reinhardt wandelte, der sich aber weiter entwickelt hat und heute mit seinem Spiel Maßstäbe auf seinem Instrument setzt.
 
Ohne die Titel anzukündigen legt das Quartett los. Es erklingt „Autumn Leaves“, wie alle folgenden Stücke ein gängiger Standard des Jazzrepertoires. Der Set beginnt kraftvoll und energiegeladen. Das erste Solo ist für Lagrène bestimmt. Während dieser sehr entspannt und eher zurückhaltend mit einem Akkordsolo beginnt, übernimmt Heller mit überschäumender Spielfreude und lotet die Grenzen des Stückes aus. Es wird schnell klar, heute werden Standards gespielt, die alle Anwesenden kennen, aber selten auf diesem Niveau live erleben dürfen: „There is no greater Love“, „St. Thomas“, „Lover Man“ ... Während Gitarre und Sax sich gegenseitig anfeuernd ausdauernd und technisch brilliant improvisieren, legen Gjakonovski am Bass und Dekker das harmonische und rhythmische Fundament. Besonders letzterer überzeugt in seinen Soli beim Kölner Publikum.
 
Heller und Lagrène bilden ein kongeniales Paar. Wie mag die Stückeauswahl erfolgt sein? Wurde überhaupt geprobt? Das überzeugende Zusammenspiel basiert auf der spontanen ideenreichen Kommunikation und der Bereitschaft, auf thematische Impulse zu reagieren. Heller darf man zu Recht als einen der hervorragendsten Vertreter seiner Generation auf dem Tenor bezeichnen, modern, power-geladen, technisch überzeugend in schnellsten Tempi. Lagrène lässt sich von Hellers Tempi jedoch nicht beeindrucken und stellt gelassen sein eigenes Spielkonzept vor. Mal spielt er mit dem Plektrum schnelle Melodielinien, mal lässt er die Gitarre sanft erklingen und erinnert so mit seiner Daumenspielweise an Wes Montgomery. Flagolett-Töne, Arpeggien, impressionistisch angehauchte Akkordfolgen, Blues- und Funkzitate – das ganze Spektrum aktueller Ausdrucksmöglichkeiten beherrscht er souverän. Sein musikantisches Spiel ist zudem immer durchzogen von „humoristischen“ Musikzitaten.
 
Nach der Pause beginnt Lagrène solo mit einer Gitarrenfantasie. Hier zeigt er sein ganzes Können. Allein von Django Reinhard ist nur noch wenig zu verspüren. Man merkt, Lagrène hat sich stilistisch freigeschwommen.
 
Der Abend endet mit Rollins’ „Oleo“ , gespielt in einem irrwitzigen Tempo. Die Komposition, zunächst thematisch vorgetragen nur von Gitarre und Sax, anschließend durch die Rhythmusgruppe ergänzt, setzt durch die Improvisationskunst aller Beteiligten zu einem Höhenflug an, der das Publikum zu Ovationen hinreißt. Ohne Zugabe darf der Abend nicht zu Ende gehen.
 
Der nächste Termin der Reihe „Next Level Jazz“: 12.3.17 – Paul Heller invites Richie Beirach & Adam Nussbaum
 
Text & Fotos: Ingo Marmulla

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Neun Jazz-Fotografinnen & Fotografen aus NRW im domicil in Dortmund
Katrin Scherer „Momentum“

Katrin Scherer – Saxophon
Benjamin Schäfer – Keys
Fabian Arends - Drums

Dortmund, 04.09.2016 | Auch wenn Fotografen häufig eine ruhige Konzertatmosphäre stören können, so sind sie dennoch ein wichtiger Bestandteil der Musikszenerie, zumindest ein wichtiger Bestandteil des Jazz. Auf Jazzfotos kann man häufig zum ersten Mal die Intensität des musikalischen Ausdrucks eines Musikers entdecken. Die Mimik, die Geste beim Improvisieren, die Aura der künstlerischen Persönlichkeit, seine „optische“ Strahlkraft, hier in der Zweidimensionalität werden sie besonders sichtbar.
Umgekehrt sind für Fotografen Jazzmusiker deshalb so interessant, weil diese ganz unterschiedlich, sehr individuell agierend und optisch häufig recht extrovertiert sein können. Hinzu kommt die Nähe des Fotografen zu seinem Zielobjekt. Frei nach Capas Grundsatz, möglichst nahe am Ort des Geschehens zu sein, haben die Jazzfotografin und der Jazzfotograf beim Jazzkonzert in der Regel noch eine gute Möglichkeit, diesen Anspruch zu erfüllen.
Neun dieser Fotograf(inn)en wurden mit ausgewählten Schwarz-Weiß- bzw. Farbfotos in der Vernissage der Fotoausstellung im historischen Treppenhaus des Dortmunder domicil`s vorgestellt und sind dort mit ihren Arbeiten noch bis zum 21.Dezember. zu sehen. Kuratiert wurde das Projekt durch Kurt Rade und das Team Kunstgruppe Domicil.
Die Auswahl der Fotokünstler fiel dabei auf Profis und Amateure, die „allesamt renommierte Könner ihres Fachs“ sind, und „sich zudem schwerpunktmäßig der fotografischen Dokumentation und Umsetzung von Jazzkonzerten widmen“. Zu sehen sind: Jana Heinlein, Elisa Essex, Sven Thielmann, Christoph Giese, Heinrich Brinkmöller-Becker, Gerhard Richter, Peter Tümmers, Lutz Voigtländer, Christian Westphalen.
In seiner Eröffnungsrede wies Kurt Rade auf die diversen Herangehensweisen sowie auf die unterschiedliche Musikerauswahl hin. Da gibt es spektakuläre Aufnahmen von Weltstars wie Miles Davis, Ray Charles, Betty Carter (Sven Thielmann) zu sehen, oder Avantgardekünstler in völlig neuer Serientechnik in Schwarz-Weiß (Heinrich Brinkmöller-Becker). Allen Fotos kann man das gemeinsame Ziel entnehmen, die menschliche Seite des kreativen Musikers zu beleuchten und die musikalische Seele „verstärkt“ abzulichten. Der Kölner Fotograf Gerhard Richter ergriff zum Ende des Eröffnungsaktes noch einmal die Gelegenheit, sich für die Teilnahme an dem Projekt zu bedanken, und zeigte sich überrascht von der Vielfalt der Jazzangebote im Ruhrgebiet. Da möchte man ihn und auch weitere verwöhnte Kölner Lichtkünstler ermutigen, häufiger den Kamerablick über die Stadtgrenze hinaus zu wagen. Zwischen den Redebeiträgen gab es solistische Einlagen der Saxophonistin Katrin Scherer, die mit ihrer Band „MOMENTUM“ anschließend im Domicil auftrat.
Ich hatte die Gelegenheit im Gespräch mit Katrin im Vorhinein einige Informationen zum neuen Bandprojekt zu erhalten. Der Name dieses neuen Projektes passte an diesem Abend besonders gut. Hat doch Henri Cartier-Bresson für die Fotografie den Aspekt des „entscheidenden Augenblicks, des entscheidenden Moments“ geprägt, so wird hier dieser Grundsatz in Scheres neuer Band auf die improvisatorische Zeiteben übertragen: Entscheidungen des Moments bestimmen den weiteren Verlauf des gemeinsamen Musizierens. Das Trio mit Benjamin Schaefer am Keyboard, dem an diesem Abend ersatzweise spielenden Percussionisten Dominik Mahnig und Katrin Scherer führte diese momentanen Entscheidungen überzeugend herbei. Der Rahmen war freilich vorgegeben durch die Kompositionen, die alle von Katrin Scherer stammen. Die Titel dieser Stücke verraten häufig noch nicht all zu viel: „Moonraker“ („... der beste James Bond Film mit Roger Moore...“), 5:30 AM oder „Stück Nr. 12“ („Wenn jemand einen guten Titel für das Stück weiß, möge er sich später melden ...“). Häufig begegnen wir mehr als einem Thema pro Komposition, die unterschiedlichen Impulse werden improvisatorisch zusammen geführt - wie der genaue Verlauf des Stückes sein wird, lässt sich nicht immer voraussagen. Neben ruhigen Klangflächen stehen rhythmisch energetische Passagen, atonale Melodielinien stehen neben tonalen Strukturen. Scherer fügt mit ihrer Band dies alles zu einem konzentrierten Ganzen zusammen. Grundlage von allem ist natürlich der moderne Jazz in seiner Vielfalt, auch wenn in vielen Verläufen Elemente des rauen Rock und Punk nicht zu überhören sind. „Ich bin ein Kind der Achtziger Jahre, da bleibt das nicht aus!“ Sehr gut beschrieben ist die Musik auf dem Cover des neuen gleichnamigen Albums: „Das Profil der Musik trägt ganz klar die unverkennbare Handschrift von Katrin Scherer. Ihre Kompositionen geben der Musik einen äußeren Rahmen und sind Anknüpfungspunkt für wilde aber auch minimalistische Improvisationen ...“. (Die Musiker) „erzeugen üppige, karge, kraftvolle, feinsinnige Klanglandschaften und sind dabei immer am Puls der Zeit.“
Fazit: Ein interessanter Abend im Dortmunder Domicil mit einer gelungenen Ausstellungseröffnung und einem spannenden Konzert, das dem Publikum keine leichte Kost servierte, aber gerade durch die Unmittelbarkeit, gekonnte musikalische Darbietung und Herzlichkeit insbesondere der Bandleaderin dem begeisterten Publikum einen unvergesslichen Abend bot.

Katrin Scherers MOMENTUM (Green Deer Music 08)

Text & Fotos: Ingo Marmulla

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